In Taiwan gelten seit dem 1. Januar 2021 neue Importbestimmungen für Fleischerzeugnisse aus den USA, die mit Ractopamin behandelt wurden. Wir haben dazu heute unseren Experten Prof. Dr. Ha Ri Bo zu Gast, um seine Einschätzung zu diesem Schritt zu geben.
Taiwanoca: Sehr geehrter Prof. Dr. Ha Ri Bo, um was handelt es sich bei Ractopamin genau?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Ractopamin ist ein Tierfuttermittelzusatzstoff, der besonders zur Mästung von Schweinen, aber auch bei Rindern, eingesetzt wird. Es ist dafür bekannt, die Gewichtszunahme zu erhöhen, die Futterverwertung zu verbessern und die Magerkeit des Schlachtkörpers bei Mastschweinen zu steigern. Der Einsatz von Ractopamin bei der Endmast von Schweinen führt zu etwa 3 kg zusätzlichem magerem Schweinefleisch und verbessert die Futtereffizienz um 10%.
Taiwanoca: Warum ist der Einsatz von Ractopamin in der politischen Debatte so umstritten?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Bei Schweinen wird Ractopamin mit unerwünschten Wirkungen in Verbindung gebracht, insbesondere mit Hyperaktivität, Zittern und gebrochenen Gliedmaßen. Auch bei Rindern wurden schädliche Auswirkungen wie steife, wunde und lahme Gliedmaßen und erhöhter Hitzestress beobachtet. Zudem könnte das Fleisch von mit Ractopamin behandelten Tieren zäher sein.
Die Verwendung von Ractopamin ist ein Faktor bei der Entwicklung von so genannten „Downer Pigs“, das sind Tiere, die sich nicht bewegen oder stehen können. In den USA wurden in den letzten 20 Jahren ca. 250.000 Fälle dieses Syndroms gemeldet.
Taiwanoca: Gibt es denn auch Erkenntnisse über schädliche Auswirkungen auf den Menschen?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Die Metabolisierung von Ractopamin im menschlichen Körper funktioniert ähnlich wie bei Schweinen und Rindern. Neben der pharmakologischen Wirkung kann Ractopamin einen Vergiftungseffekt hervorrufen. Daher kann der Verzehr von Fleisch und/oder Nebenprodukten von Tieren, die Ractopamin mit dem Futter zur Wachstumsförderung aufgenommen haben, beim Menschen zu klinischen Effekten wie Herzrasen und anderen Erhöhungen der Herzfrequenz, Zittern, Kopfschmerzen, Muskelkrämpfen oder hohem Blutdruck führen. Die Wirkung von Ractopamin auf den Menschen ist nicht vollständig geklärt, aber der Verzehr von Produkten, die Rückstände von Ractopamin enthalten, ist für Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht ratsam.
Taiwanoca: Auf welcher Grundlage ist der Handel von mit Ractopamin behandelten Fleisch international geregelt?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Die taiwanische Regierung beruft sich in ihren Stellungnahmen auf den von der Codex Alimentarius Commission (CAC) im Juli 2012 festgelegten Grenzwert von 10 Teilen pro Milliarde (parts per billion, ppb) als maximalen Rückstandsgehalt (maximum residue level, MRL) für Muskelfleisch von Rind- und Schweinefleisch. Nicht erwähnt wird allerdings, dass dieser Grenzwert mit einer hauchdünnen Mehrheit von gerade mal 69 zu 67 Stimmen angenommen wurde, was ein sehr ungewöhnliches Ergebnis in der CAC ist, in der es normalerweise sehr viel deutlichere Stimmenverhältnisse gibt.
Dieser von den Regierungen Taiwans und den USA als „sicher“ bezeichnete Standard wird aufgrund der weiterhin unklaren Studienlage von mehr als 160 Ländern nicht anerkannt, darunter allen Ländern der EU, sowie China und Russland. Es bestehen auch weiterhin keine eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die eine Festlegung eines bestimmten Grenzwerts – oder ein komplettes Verbot von Ractopamin – rechtfertigen würden.
Taiwanoca: Warum hat sich die Regierung Taiwans dennoch für diesen Schritt entschieden?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: In Taiwan gibt es innenpolitisch schon seit mehr als einem Jahrzehnt große Uneinigkeit über den Umgang mit Ractopamin. Im Jahr 2006 wurde Ractopamin sowie weitere Stoffe der Gruppe der Beta-Adrenozeptoren in Taiwan verboten.
Der damalige Gesetzestext im Wortlaut:
„Die Herstellung, Zubereitung, Einfuhr, Ausfuhr, der Verkauf oder die Ausstellung von Beta-Adrenozeptoren, einschließlich Salbutamol, Terbutalin, Clenbuterol, Ractopamin …, usw., sind für zur Lebensmittelerzeugung genutzte Tiere verboten.“
11. Oktober 2006
Nach der oben erwähnten Entscheidung der CAC im Jahr 2012 wurden Regierungsbehörden durch einen von der KMT eingebrachten Änderungsantrag im Legislativ Yuan ermächtigt, Sicherheitsstandards für Ractopamin als Futtermittelzusatz für Rinder festzulegen, die Verwendung bei Schweinen aber verboten. Für die Einfuhr von Rindfleisch aus den USA wurde daraufhin der Grenzwert von 10 Teilen pro Milliarde von der CAC übernommen.
Sämtliche Abgeordneten der DPP stimmten damals übrigens gegen diese Entscheidung.
Am 28. August 2020 wiederum kündigte Präsidentin Tsai Ying-Yen (DPP) den Import von mit Ractopamin behandeltem Schweinefleisch aus den USA an, ebenfalls mit Verweis auf den „sicheren“ CAC Grenzwert.
Warum die damalige Oppositionspartei, inklusive der heutigen Präsidentin, im Jahr 2012 gegen einen Import von mit Ractopamin behandeltem Fleisch war, und es im Jahr 2020 nicht mehr ist, wurde bislang nicht genauer erklärt.
Auffällig ist aber – sowohl bei den Erklärungen der KMT 2012, als auch bei den Erklärungen der DPP 2020 – dass stets auf die Möglichkeit kommender Gespräche mit den USA über ein Freihandelsabkommen hingewiesen wird. Das American Institute in Taiwan führt schon seit vielen Jahren mit der jeweiligen Regierung Gespräche über ein Trade and Investment Framework Agreement (TIFA). Diese fanden allerdings seit 2016 nicht mehr statt, u.a. wegen der von den USA monierten Importsperren von Schweinefleisch mit Ractopamin Rückständen.
Meiner Einschätzung nach liegt darin der Hauptgrund. Interessant ist auch der Aspekt, dass die Nutzung von Ractopamin für inländische Schweinefarmen in Taiwan weiterhin verboten ist.
Und auch in den USA gibt es mittlerweile verschiedene Fleisch exportierende Unternehmen, die auf Ractopamin verzichten. Dies allerdings nicht wegen gesundheitlicher Bedenken, sondern um einen besseren Marktzugang zu den Ländern zu erhalten, in denen Ractopamin im Schweinefleisch verboten ist. Man kann also anmerken, dass die bestehenden Importverbote durchaus eine Wirkung erzielen. Taiwan geht allerdings in die komplett entgegengesetzte Richtung.
Taiwanoca: Sie meinen also, dass die Regierung Taiwans in diesem Punkt Zugeständnisse an die USA macht, um eventuell von einem zukünftigen Freihandelsabkommen zu profitieren?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Es sieht ganz danach aus. Denn ich wiederhole es gerne noch mal: Aus wissenschaftlicher Sicht hat sich an der uneinheitlichen Studienlage zu Ractopamin nichts geändert. Hält man zudem die strengen – und absolut richtigen – Regelungen der Regierung im Hinblick auf die Corona Pandemie als Maßstab dagegen, muss man sich schon fragen, warum im einen Fall mit größter Vorsicht und Wachsamkeit agiert wird und im anderen Fall ein umstrittener, und in früheren Zeiten abgelehnter Grenzwert die Grundlage für diese weitreichende Entscheidung sein soll.
Taiwanoca: Was bedeutet das jetzt für die Verbraucher in Taiwan?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Die Regierung hat seit der Bekanntgabe der Importerlaubnis zahlreiche Maßnahmen angekündigt, um die Verbraucher in Taiwan zu „schützen“. Am wichtigsten ist hierbei sicherlich die Möglichkeit, die Herkunft von Schweinefleisch in Supermärkten und Restaurants zu kennzeichnen. Eine falsche Kennzeichnung soll mit Geldbußen von 40.000 NT bis 4 Mio. NT geahndet werden. Sollte ein höherer als der gesetzlich festgelegte Wert an Ractopamin in Schweinefleisch festgestellt werden, liegen die Geldbußen bei 60.000 NT bis 200 Mio. NT.
Taiwanoca: Ist diese Kennzeichnung verpflichtend? Kann man an der Kennzeichnung feststellen, ob das Fleisch Ractopamin enthält?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Eine Kennzeichnungspflicht ist laut Regierung nicht so einfach umzusetzen, da dies möglicherweise als Handelshemmnis interpretiert und im Rahmen von Regelungen der Welthandelsorganisation (WTO) sanktioniert werden könnte.
Taiwanoca: Werden Sie also zukünftig auf Schweinefleisch verzichten?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Mich persönlich tangiert dieses Problem nicht, da ich mich ausschließlich von Müsliriegeln ernähre (siehe unten). Die Verbraucher indes müssen selbst die Entscheidung treffen ob sie zum einen Ractopamin enthaltendes Fleisch kaufen möchten und zum anderen darauf vertrauen, dass gekennzeichnete Produkte auch wirklich von dort kommen, was die jeweilige Kennzeichnung besagt.
Taiwanoca: Wie meinen Sie das?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: In den letzten Jahren wurden in Taiwan gleich mehrere Lebensmittelskandale aufgedeckt. Diese reichten von Weichmachern in verschiedenen Lebensmitteln über Verfälschung und falsche Kennzeichnung von Speiseöl bis hin zur Nutzung des stark krebserregenden Buttergelb zur Färbung von Tofu-Produkten.
Es ist daher absolut nachvollziehbar, dass die Verbraucher in Taiwan ein gesundes Misstrauen an den Tag legen, wenn es um selbst erstellte Kennzeichnungen von Lebensmitteln geht. Den entsprechenden Aufkleber bekommen Sie z.B. für 60 NT auf Shopee oder sogar kostenlos auf der Webseite des Wirtschaftsministeriums zum Selberdrucken.

Taiwanoca: Gibt es denn keine Kontrollen?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Die Regierung hat verstärkte Kontrollen der Kennzeichnung und die oben genannten Bußgelder bei Verstößen angekündigt. Nur, die Kapazitäten für Lebensmittelkontrollen sind begrenzt und inwiefern eine umfassende Kontrolle aller Schweinefleisch enthaltenden Produkte bewerkstelligt werden soll, ist völlig unklar. Wir sprechen hier nicht nur vom großen Kotelett, sondern auch von Instant Nudeln, traditionellen Keksen und weiteren Produkten, die Schweinefleisch enthalten können. Nicht zu vergessen die hunderttausenden Kleinimbisse auf der Straße, die nur sehr schwer zu erfassen sind.
Taiwanoca: Was meinen Sie zu lokalen Märkten, auf denen die heimischen Erzeuger ihre Waren anbieten?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Diese halte ich noch für die sicherste Variante, um garantiert Ractopamin freies Fleisch zu kaufen. Allerdings muss man auch hier abwarten und sehen, wohin sich die Preise entwickeln. Durch die wahrscheinlich höhere Nachfrage nach lokal produziertem Schweinefleisch könnten sich auch die Preise erhöhen. Insgesamt schafft die neue Situation also mehr Probleme als vorher.
Taiwanoca: Gibt es denn gar keine Gegeninitiativen mehr?
Prof. Dr. Ha Ri Bo: Bislang hatten die Lokalregierungen der Städte und Landkreise ein Mitspracherecht, wenn es um lebensmittelrechtliche Fragen ging. In Sachen Ractopamin wurde dieses Mitspracherecht von der Zentralregierung mit Wirkung zum 1. Januar entzogen.
Die KMT hat einen Antrag zu einer möglichen Volksabstimmung eingereicht, welcher die erste Hürde – die Annahme durch die Zentrale Wahlkommission – übersprungen hat. Der nächstmögliche Termin für eine Volksabstimmung wäre der 28. August 2021. Durch die Entkopplung von Volksabstimmungen von nationalen Wahlen durch die DPP ist allerdings nicht klar, ob bei einer zukünftigen Volksabstimmung die notwendige Mindestbeteiligung von 25% aller registrierten Wählerstimmen erreicht werden kann. Bei gleichzeitig zu nationalen Wahlen abgehaltenen Volksabstimmungen war das früher kein Problem.
Insgesamt wird die innenpolitische Diskussion aber leider – wie schon so oft in Taiwan beobachtet – sehr emotional und nur peripher auf Fakten basierend geführt. Das Werfen mit Schweineinnereien bei einer Parlamentssitzung im November 2020 von Seiten der KMT stellte dabei den bislang unrühmlichen Höhepunkt dar.
Und aufgrund der ebenfalls starken Polarisierung der Wähler ist eine neutrale – nicht auf die Präferenz einer bestimmten Partei ausgelegten – Diskussion in der Bevölkerung nur schwer bis teilweise gar nicht möglich. Dies ist ein leider ein generelles Problem.
Für den Moment wird man in Taiwan also mit dieser Entscheidung leben müssen und nur abwarten können, ob und wie sich die neue Situation auf Nachfrage, Preis und Umsatz von Schweine- und Rindfleisch auswirken wird.
Taiwanoca: Wir danken Ihnen für das Gespräch!
Zur Person:
Prof. Dr. Ha Ri Bo (蝦日波) ist staatlich anerkannter Residentologe in Taiwan. Nach seinem Abschluss am Taiwan Institut für Kommunikationsinformationen (TIKI) begann er seine akademische Karriere an der benachbarten Taiwan Akademie für Kommunikationsanalysen (TAKA) und wurde schon bald für seine kurzen und zielgenauen Analysestafetten bekannt. Auch auf dem chinesischen Festland genießt er als ehemaliger Leiter des Konfuzius Institut für Physiologie und Psychologie in Miulun, China (Abkz.: KIPPMICH) hohes Ansehen. Seine exzellenten Deutschkenntnisse erwarb Prof. Dr. Ha Ri Bo übrigens während eines längeren Studienaufenthalts in Bonn. Er ist allein stehend und ernährt sich weitestgehend von Müsliriegeln, eine Angewohnheit, die er von seinem ehemaligen Lehrer, einem Nahrungsmitteltechniker aus Bonn, übernommen hat.