Eine Trillion Mark fünfzig, bitte!

Es tut mir ja auch leid, nach dem letzten Artikel mit Bezug zu Nazis jetzt schon wieder einen Artikel mit einem Bezug zu Nazis zu schreiben, aber es nützt ja nichts….

Da ich als Erklärbär für den Alltag in Taiwan zwecks viel zu geringer Frustrationstoleranzgrenze nicht mehr tauge und ich so gut wie möglich die Finger von der Politik lasse, bleiben mir halt nur die skurilen Themen, ohne die Taiwan nun mal nicht Taiwan wäre.

Primär soll es hier um eine Sammlung von Informationen gehen, weil Facebook in der Hinsicht ehrlich gesagt ein Saftladen ist. Zu beachten ist auch, dass ich in dieser Sache nur ein Beobachter bin und sämtliche Informationen aus den unten verlinkten Quellen beziehe. Das hier ist und soll auf keinen Fall eine offizielle Stellungnahme sein!

Vor eineinhalb Wochen (6.April) tauchte in der wunderbaren Facebook Gruppe „Deutsche in Taiwan“ dieser Beitrag über zwei Taiwaner auf, die vor dem Taipei 101 mit Schildern Reparationen für im 1. Weltkrieg erlittene Leiden von Deutschland verlangen.

Ein Update dann letzte Woche (12. April) und ganz aktuell von heute (17. April) ein weiteres Update, mit dem wir dann auch den Nazibezug hergestellt hätten.

Um was geht es nun eigentlich? Die beiden netten Herren befinden sich, warum auch immer, wohl im Besitz einiger Banknoten der sogenannten Papiermark, die Währung der Inflationsjahre von 1919 bis 1923 in der Weimarer Republik (für den Hintergrund bitte diesen Wikipedia Artikel lesen)

Wir erinnern uns (als wäre es erst gestern gewesen) mit den folgenden Stichpunkten:

– Nachwirkungen des 1. Weltkriegs
– Weimarer Republik
– Hyperinflation

Ich glaube, selbst Nichtexperten kommen hier ziemlich schnell zum Schluss, dass man mit Banknoten mit aufgedruckten Werten in Millionen-, Milliarden- oder gar Billionenhöhe heutzutage weder zur nächsten Landesbank noch der Bundesbank gehen und sich diesen Nennbetrag dann in aktueller Währung zum Kurs von 1:1 auszahlen lassen kann. Wer es dennoch versuchen möchte, dem sie dieser Hinweis der Deutschen Bundesbank ans Herz gelegt:

Folgende Banknoten und Münzen werden nicht mehr zum Umtausch angenommen:

Banknoten und Münzen, die vor dem 20. Juni 1948 emittiert wurden.

1923 < 1948

Case closed?

Nun, im Bereich der Logik sicherlich ja, aber in Sachen Logik gelten in Taiwan ab und zu ganz eigene Gesetze…

Die netten Herren sind nämlich der Meinung, dass es sich bei den Banknoten um alte Kriegsanleihen handelt, die Taiwaner im damals von Japan besetzten Taiwan zwangsweise erwerben mussten. Daher die Forderung nach Reparationen aus dem 1. Weltkrieg.

Und klar, wenn man die folgende Passage aus dem oben verlinkten Wikipedia Artikel absichtlich falsch interpretiert (oder mit Google übersetzt), dann könnte man vielleicht … immer den eigenen Gesetzen taiwanischer Logik folgend … den Anspruch in gewisser Weise sogar nachvollziehen:

Da das Reich die Kosten der Kriegführung nur zu einem geringeren Teil durch Steuererhöhungen und Kriegsanleihen, zu einem erheblichen Teil aber durch die Ausgabe von Papiergeld finanzierte, kam es bereits während der Kriegsjahre zu einer erheblichen Inflation.

Was aber … wieder im Bereich der normalen Logik … natürlich Quatsch ist, weil die Nennwerte schon seit 1914 durch nichts mehr gedeckt waren und es überhaupt, niemals nie, einen entsprechenden Gegenwert gegeben hat. Also doch, halt bestenfalls ein Appel und ein Ei für 3 Milliarden Mark….

Nun bin ich kein Experte, weder in Geschichte, noch in Rechtswissenschaften (noch sonstwo). Kein Problem, denn in Taiwan kann man auch Rechtsberatungen von deutschen Anwälten bekommen, was im Falle der beiden netten Herren wohl auch in Anspruch genommen wurde. Zwar könnte man ab und zu vermuten, dass die juristische Logik und die taiwanische Logik in manchen Punkten kompatibel zueinander sind, aber in diesem Fall ist dies aus den oben und/oder noch weiteren Gründen zum Glück nicht der Fall.

Daher also jetzt die Masche, vor dem Taipei 101 (in dem auch das Deutsche Institut residiert) mit Plakaten und neuerdings also auch mit Hakenkreuzfahnen herumzulaufen, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Ach ja, ergänzend dazu muss noch erwähnt werden, dass die beiden Herren schon seit längerem auch schriftlich mit dem Deutschen Institut in Kontakt stehen, es also schon Versuche gegeben hat, den beiden Herren die Lage … nach normaler Logik … zu erklären, was allerdings wie wir sehen nichts genützt hat.

Was also tun? Das Zeigen von Nazisymbolen ist in Taiwan nicht strafbar. Das Demonstrieren vor dem Taipei 101 auch nicht, obwohl ich mir da gar nicht so sicher bin.

Ich fände es bislang sowieso unpassend, den beiden netten Herren irgendwas strafrechtliches zu wollen. Fußgänger an Kreuzungen schützende Polizisten sind in Taipei viel wichtiger!

Ich finde es allerdings auch schade, dass ich innerhalb von nur 4 Monaten schon wieder irgendwelche Hakenkreuzflaggen in Taiwan rumflattern sehen muss. Und ja, ich bin in der Lage, eine Swastika an einem buddhistischen Tempel von einem Hakenkreuz zu unterscheiden. Noch wichtiger in diesem Zusammenhang ist der folgende Satz:

Weil das Hakenkreuz Ideologie, Gewaltherrschaft und Verbrechen des Nationalsozialismus repräsentiert, wurde die politische Verwendung hakenkreuzförmiger Symbole seit 1945 in Deutschland, Österreich und weiteren Staaten verboten.

In Taiwan nicht.

Was jetzt auch nicht der Skandal ist, aber gerade Taiwan, dessen Gesellschaft noch im Nachklang der Ideologie, Gewaltherrschaft und Verbrechen des Weißen Terrors lebt, gerade dieses Taiwan sollte sich bewusst sein, dass eine absichtlich verzerrte … und jedweder Logik entbehrende … Darstellung der Geschichte mehr Schaden als Nutzen bringt.

Jetzt nicht Schaden für uns als Deutsche. Ich denke wir sind in der Lage, diesen Fall als das einzuordnen, was er (bislang) ist: eine Posse, eine billige Masche an Geld zu kommen.

Eher sehe ich den Schaden für Taiwan.

Ich finde es vollkommen unverständlich, dass eine Gesellschaft, die in Bezug auf ihr dunkelstes und schmerzhaftestes Kapitel ihrer Geschichte die Aufarbeitung gegenwärtig stark fordert und vorantreibt (Stichwort Transitional Justice) und in umgekehrter Richtung zu sehen, dass unser dunkelstes und schmerzhaftestes Kapitel, das nicht nur national, sondern auch international weitgehend aufgearbeitet und entsprechende Folgen umgesetzt werden (Hakenkreuzverbot, allgemeine Ächtung von Nazi-Verherrlichung), in Taiwan der Gegenstand von Unwissenheit, Geschäftemacherei und jetzt auch noch Ausnutzung ist.

Klingt zu hart? Finde ich nicht. Ein gutes Allgemeinwissen sollte in einer fortschrittlichen Industrienation keine all zu harte Herausforderung sein (der Satz kommt mittlerweile glaube in jedem Artikel vor). In Taiwan zu leben und zur Schule zu gehen, bedeutet nicht, nichts über die Nazizeit wissen zu können. Den Anspruch muss Taiwan einfach an sein eigenes Schulsystem stellen.

Und Deutschland?

Ausnahmen bestätigen dort (noch) die Regel. Die so genannte Reichsbürgerbewegung in Deutschland mit manchen Leuten, die ihre eigenen Königreiche ausrufen, ist vielleicht das Äquivalent zu diesen beiden Herren. Nicht der offen rechtsextreme Teil, sondern der bekloppte, obwohl sich beides natürlich gegenseitig nicht ausschließt. Der Unterschied zu Taiwan ist, dass über solche Spinner kritisch berichtet wird und auch für Außenstehende doch ziemlich klar ersichtlich sein sollte, dass die große Mehrheit solche Typen für vollkommen bescheuert hält.

Oder, gerade bei der Recherche gefunden, als der klassische Querulant:

Personen, die bei Behörden oder vor Gericht zum wiederholten Male unbegründete Anträge stellen, werden als Querulanten bezeichnet. Später wurde der Begriff von der Psychiatrie aufgegriffen und entweder als eigenes, wahnhaftes, oft paranoides Krankheitsbild, als Persönlichkeitsstörung oder als begleitendes Symptom anderer psychischer Störungen beschrieben.

Zurück zu Taiwan. Wie sich Taiwan um vermeintlich oder offensichtlich psychisch gestörte Menschen kümmert (nämlich wenig bis gar nicht), haben wir in den letzten Jahren zu oft als schockierende Ereignisse in den Nachrichten sehen müssen.

So weit wird es hier hoffentlich nicht kommen und man muss jetzt auch nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Es soll nur zeigen, dass es hier nicht nur die witzige Komponente zweier Spinner gibt, die nicht gerade unkreativ, aber mittlerweile etwas über die Stränge schlagend, versuchen an Geld zu kommen, sondern dass es in Taiwan auch Leute gibt, denen ich trotz der relativen hohen Sicherheit nachts nicht im Park begegnen möchte, Und tagsüber auch nicht….

Desweiteren sehe ich Taiwan als Gesellschaft hier in der Pflicht, solchen Vögeln klar zu machen, dass sie nicht nur sich, sondern zu einem Teil auch Taiwan als Ganzes der Lächerlichkeit preisgeben.

Der beste Umgang mit solchen Sachen ist der Hinweis, wie sehr man sich Außenstehenden gegenüber mit solchen Sachen blamiert (meinetwegen auch das Gesicht verliert, diese absolut abgenudelte Floskel).

Eine Fortsetzung folgt mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit und ich bin mal gespannt, wie weit unsere beiden netten Herren noch gehen wollen.