Das Wichtigste gleich mal vorne weg:
Es gibt keine Übersetzungen von westlichen Namen ins Chinesische!
Die chinesische Sprache war niemals dazu vorgesehen als Sinnträger für Namen aus der westlichen Welt zu dienen und wird es auch niemals sein. Und da besteht genau das Problem, welches viele Menschen erschreckenderweise als richtige Mode anzusehen scheinen.
Für dieses Thema passend nehme ich mal den Namen Marco Polo als Beispiel für das Phänomen der Wiedergabe von westlichen Namen im Chinesischen.
Nehmen wir mal an, dass der Chinese Herr Wang morgens in der Zeitung einen Artikel über die Reisen von Marco Polo liest. Herr Wang ist schon etwas älter und trifft sich jeden Tag mit seinen alten Freunden Li, Chen und Zhang auf dem Marktplatz des Dorfes zum fröhlichen Plaudern und Mahjiang spielen.
Da er die Reisen Marco Polos nach Asien sehr faszinierend findet, möchte er seinen Freunden auf dem Marktplatz davon erzählen.
Beim Lesen des Namens Marco Polo in der Zeitung hat Herr Wang aber bei der Ansicht der lateinischen Buchstaben so ziemliche Mühe diesen auch in der für uns vertrauten Form auszusprechen, ein 馬可波羅 bereitet ihm hingegen überhaupt kein Problem.
Manche stellen also fest:
(Westlich) Marco Polo = 馬可波羅 (China)
Und denken sich dabei:
馬可波羅 ist die chinesische „Übersetzung“ von Marco Polo!
Von einer „Übersetzung“ zu sprechen ist hier aber ziemlich falsch!
Ein Blick auf die Aussprache der chinesischen Schriftzeichen macht klar warum:
馬 可 波 羅
ma ke bo luo
Klingt irgendwie vertraut, oder?
Herr Wang freut sich darüber, dass er nun keine Probleme mehr mit der Aussprache des Namens hat und er weiß auch, dass die chinesischen Schriftzeichen zusammen nur die Aussprache eines westlichen Namens wiedergeben können, denn die vier Zeichen als Kombination ergeben für einen Chinesen gar keinen Sinn.
Wie kommt der Verfasser der Zeitungsartikels aber nun zu der chinesischen Schreibweise 馬可波羅, wenn er den Namen gar nicht wirklich übersetzen kann??
Ganz einfach eigentlich, er transkribiert ihn.
Aus Wikipedia: Die Transkription (v. lat.: trans hinüber; scribere schreiben; „Umschrift“) ist die Darstellung bestimmter Termini (bes. Namen) aus einer fremden Schrift mit Hilfe einer Lautschrift oder angepasst an die Ausspracheregeln einer Zielsprache.
Aus „Marco Polo“ wird „ma ke bo luo“ und als Schriftzeichen „馬可波羅“ was ein Chinese genau als „ma ke bu luo“ ausspricht und damit von allen als „Marco Polo“ verstanden wird.
Dabei ist es allerdings nicht erforderlich immer ein und dieselben Zeichen benutzen zu müssen. Alle Zeichen mit der Aussprache „ma“, alle Zeichen mit der Aussprache „ke“, alle Zeichen mit der Aussprache „bo“ und alle Zeichen mit der Aussprache „luo“ kommen als Lautträger im Chinesischen in Frage und es gibt ziemlich viele verschiedene Schriftzeichen die „ma“, „ke“, „bo“ und „luo“ ausgesprochen werden können.
Für diesen und für praktisch jeden anderen Namen gibt es daher insgesamt hunderte von verschiedenen Möglichkeiten unserem Chinesen Herrn Wang die für ihn verständlichen Silben als chinesische Schriftzeichen mit auf den Weg zum Marktplatz zu geben.
Genau deswegen findet man häufig verschiedene Versionen von chinesischen Schriftzeichen für einen westlichen Namen. Es kommt im Wesentlichen nur darauf an, dass sich die Schriftzeichen ausgesprochen im Klang etwa so anhören wie der Originalname. Die Möglichkeiten hierfür sind vielfältig und allesamt nicht verkehrt. Ein halbes Dutzend gute Varianten sind da keine Seltenheit. „Gute Varianten“ bedeutet hierbei, dass bei den Schriftzeichen etwaige Missverständnisse ausgeschlossen werden, um nicht zufälligerweise doch vielleicht die chinesischen Schriftzeichen für „Volldepp“ zu verwenden.
Seit Marco Polos Besuchen in Asien haben die Chinesen ja noch weitere Bekanntschaften mit Menschen aus dem Abendland geschlossen (…oder schließen müssen). Im Laufe der Zeit haben sich natürlich einige Standards in der Transkription von westlichen Namen ins Chinesische etabliert, Standards die den Namen Marco Polo in chinesischen Texten heutzutage sehr häufig als 馬可波羅 erscheinen lassen und in dieser Hinsicht eigentlich schon wieder als „Übersetzung“ angesehen werden könnten. Besser wäre aus oben genannten Gründen meiner Meinung nach allerdings der Begriff „Standard-Transkription“.
Wie dem auch sei: Namen wie Chantal Nicolette, Gülcan Özic, Anatolis Gregorianitidis, oder auch Horst Meier und Erna Schulze werden sich wohl in absehbarer Zeit nicht als eine solche „Standard-Transkription“ durchsetzen und müssen weiterhin brav einzeln transkribiert und mit den entsprechenden chinesischen Zeichen versehen werden.
Mit einer richtigen Übersetzung hat das Ganze praktisch gar nichts zu tun. Jeder, der sowas als große Kunst verkauft ist in meinen Augen nichts weiter als ein Pfuscher, der die Leute für dumm verkauft (…und damit leider oft genug erfolgreich ist). Diese Form der Wiedergabe von westlichen Namen im Chinesischen ist im Grunde genommen nur eine Notlösung für Chinesen, um sich nicht mit einem fremden Alphabet und einer fremden Aussprache herumschlagen müssen. Niemand in China würde auch nur im Entferntesten auf den Gedanken kommen, sich so eine sprachliche Notlösung auf die Haut tätowieren zu lassen. Denn die chinesische Sprache bietet mit ihrer Schrift so wundervolle Möglichkeiten seine Gedanken auf eine für uns sehr ästhetische Weise auszudrücken, warum sich also mit einer ziemlich ungenauen Notlösung zufrieden geben?? Lasst euch nicht von irgendwelchen Pfuschern veralbern, gerade bei Tattoos geht es um euren Körper und euer Geld!